Ich komme gleich     


„Jaaaa, ich komme gleich“, mühelos durchdrang Brittas volltönende Stimme Wände und Türen.

Henrik griff sich an den Kopf, musste sie immer so schreien? Konnte sie sich nicht etwas zurückhaltender benehmen? Leiser sein? Gab es irgendetwas, was diese Frau von ihrem Computer trennen konnte? Er setzte sich ans Fenster und ließ seinen Blick über den sonnendurchfluteten Garten schweifen. Dabei durchdachte er Schritt für Schritt seine Entscheidung. Wollte er diese Frau wirklich heiraten?

Zwanzig Minuten später stand Hendrik auf. Sein Entschluss, einen letzen Versuch zu einer Aussprache zu wagen, stand fest. Innerlich kochend stieg er die Treppe in den ersten Stock.

„Jaaaa, ich komme gleich“, stoppte brüsk seine Hand kurz vor dem Anklopfen. Unschlüssig verharrte er, um dann zaghaft doch zu klopfen. Blitzschnell, bevor ein weiteres Wort ertönen konnte, öffnete er endlich die Tür.

Gepresst murmelte er: „Willst du nicht deinen Computer ausschalten und zu mir ins Wohnzimmer kommen?“

Britta drehte den Kopf, ohne die Hand von der Maus zu nehmen oder den Bildschirm aus dem Blick zu verlieren. „Ich sag’ doch, dass ich gleich komme. Ich will nur noch die paar Files hoch laden, dann ist die Site fertig. Sei doch nicht so ungeduldig. Ich habe dem Kunden versprochen, dass ich das heute noch ins Netz stelle.“

Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ganz Bildschirm, Tastatur und Maus zu. Hendrik schien nicht mehr für sie zu existieren. Die Außenwelt erreichte sie nicht mehr.

Ihr Blick wechselte gespannt zwischen Programmcode und parallel gezeigtem Ergebnis hin und her. Sie bemerkte weder die strahlende Junisonne, die neben dem Computer bizarre Lichtspiele zeichnete, noch Henrik, der zehn Minuten reglos hinter ihr verharrte, dann verspannt und ruhelos im Zimmer auf und ab tigerte. Sein Hüsteln und Räuspern drang ebenso wenig zu ihr, wie der Gesang der Vögel in den Bäumen vor dem Fenster.

Britta hackte hektisch, um mit ihrer Website fertig zu werden. Natürlich klappte nichts so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Immer wieder probierte sie etwas Neues aus, das musste doch zu schaffen sein.

Henrik stand kur vor einer Explosion. Sein Gesicht verzerrte sich wütend. Unbeachtet trat er hinter Britta, fischte vorsichtig ein Kabel aus dem Gewirr zwischen ihren Computern, schlang es schnell um ihren Hals und zog zu.

Als Britta schließlich merkte was geschah, bekam sie schon fast keine Luft mehr. Ihre Hände tasteten in Panik auf ihrem Schreibtisch umher. Ihr Brieföffner, ein scharfer asiatischer Dolch, kam zwischen ihre Finger. Blind und beinahe ohne Luft stach sie hinter sich. Der Druck um den Hals nahm endlich ab.

Britta drehte sich um. Da lag Henrik in einer Blutlache zu ihren Füßen.

Noch ganz heiser rief sie Polizei und Krankenwagen. Während sie auf deren Eintreffen wartete, drehte sie sich wieder dem Bildschirm zu.

„Jaaaa, ich komme gleich“, hörte der Sanitäter, als er klingelte.

© Anna Banfhile, 2007

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