Text des Kalenderblatts vomNovember 2016

Wohin des Wegs?

„Mach hinne, nu' mach schon“, drängelte Zacharias. Seine beiden Brüder kamen mit den übervollen Beutesäcken kaum durch den engen Gang. „Ihr hättet nicht so gierig sein sollen“, grollte er, als es wieder stockte.   

„Dein Sack ist nur so dünn, weil du ja nur die wertvollsten Stücke aus den Truhen von Meister Kajan mitgenommen hast. Wir kommen nie auf ausreichende Beute, wenn wir alles dort lassen. Außerdem ist er uns noch viel mehr schuldig. Er hat unsere Arbeit nicht bezahlt und uns ausgebeutet“, schimpfte Gregor zurück.

„Zacherl“, rief Alois von vorne. „Du hast doch den Weg ausgekundschaftet. Warum geht es hier nicht weiter?“

Mit einem ziemlichen Gequetsche und Geschiebe erreichte Zacharias endlich seinen ältesten Bruder. Mit seiner Mütze wischte er den Schweiß ab. Erst dann beugte er sich nach vorne, wohin Alois deutete. Da war keine Stufe zur nächsten Gasse. Da war nichts – Wolken und Luft und nichts. Erschrocken fuhr er zurück.

„Wo ist die Tandlergasse?“, ächzte er. „Die kann nicht weg sein. Hier geht’s zur Tandlergasse!“, wandte er sich um.

„Wir müssen zurück“, rief Gregort. „Meister Kajan kommt bald vom Dom zurück. Der darf uns hier nicht finden.“

Keuchend schleppten sie ihre Beute die Gasse wieder ein Stück hoch und liefen in die Weingasse, der nächste Weg, die aus der Hochstadt führte. Dort trafen sie erneut auf das jähe Ende der Stadt. Sie blieben sprachlos am Abgrund sitzen. Durch die Schleier der Wolken sahen sie Baumwipfel unter sich hinwegziehen.

„Ich glaub' es nicht“, beugte sich der schmale Alois in das Nichts. Der ungewohnte Höhenwind raubte ihm das Gleichgewicht. Er purzelte über den Rand der Stadt. Glücklicherweise verhakte sich sein Beutesack in einem Rohr, das nun aus einem Keller in die Luft ragte.

„Steigt in den Keller auf der rechten Seite“, rief er seinen Brüdern zu, so laut er konnte. „Was?!?“ kam zurück.“

Nach dem fünften Mal hatten die es auch verstanden und knackten die alte Kellertür, um zu Alois zu kommen.

„Wir müssen das Zeug hier lassen. In der Hochstadt werden wir sonst eingesperrt“, begrüßte Alois die beiden.

Die nickten nur, denn ihre Sprache war noch weg. Das Haus war alt und der Keller voll  Gerümpel. Bald fanden sie in dem ganzen Verhau ein sicheres Versteck. Einige Taler und den Krug mit feurigem Wein nahmen sie mit.

Neugierig zog es Alois wieder an den Rand ins Ungewisse. Unter ihnen waren Felsen. Seine Brüder hielten ein Seil, das er um den Bauch gebunden hatte. So kletterte er außen an den Felsen noch tiefer. In den Felsen klafften offen frühere Bergwerksstollen. Im Schein eines seltsamen Lichts drängen sich dort schemenhafte Gestalten zwischen einem Gewirr aus Balken und Gestein.  Voller Angst stieg er so schnell er konnte wieder hoch.

Der Wein machte die Runde, während er das Gesehene seien Brüdern berichtete. Nach einer Weile verlor sich der Schauder und sie fassten wieder Mut. Nur mit ein paar Talern aus Meister Kajan Kasse, machten sie sich auf den Weg in die Hochstadt. Sie mischten sich unter die Kirchgänger, die nach der Messer aus dem Dom strömten.

„Das war aber eine seltsame Predigt“, hörten sie von mehreren Seiten.

„Wir sollen heute am besten in den Häusern bleiben, denn das Glück Gottes fände uns so am richtigen Platz“, wunderte sich eine Marktfrau. „Ich wollte meine Tochter in der Vorstadt besuchen. Sie hat erst ein Kind bekommen und ein sonniger Sonntag ist die richtige Zeit, es kennenzulernen.“

„Hör, lieber drauf“, mischte sich Alois ein. „Wenn die hohen Herrn im Namen Gottes warnen, ist oft was dran.“

„Recht hat er“, stimmte eine Webersfrau zu. „Der hochwürdige Bischof machte schon ein sehr ernstes Gesicht.“

In der besten Schenke neben dem Dom steckten die Brüder die Köpfe zusammen, keine drei Tische neben Meister Kajan und den andern Gildemeistern. „Morgen früh, gehen wir zum Keller und schauen, ob das Glück Gottes auch uns findet“, meinte Zacharias. „Lasst uns inzwischen den Wein und den Braten schmecken.“    

Im Lauf des Nachmittags berichteten die Marktfrau und andere, die trotz des Rats des Bischofs in die Vorstadt wollten, aufgeregt über die abgeschnittene Stadt. Immer mehr liefen die Gassen bis ans Ende hinunter. Voller Wut polterten sie gegen die Tore des Doms und der anschließenden Abtei, doch keiner öffnete ihnen. Bald flogen Steine, doch die Hochstadt flog unbeirrt durch die Wolken.

In der Schenke machten inzwischen alte Mythen die Runde vom Glück der Hochstadt, das sich immer wieder in neuen Landen fand,  wen Krankheit oder Tod drohten. Die Gildemeister gaben Freibier aus. Bald verlor sich der Zorn. Die alten Geschichten wurden immer wilder, die Glücksversprechungen immer größer.  

Noch vor der Morgendämmerung machten sie die Brüder auf zu ihrer Beute im Keller in der Weingasse. Während sie im Dunkeln entlang der Hauswände schlichen, bebte die Straßen unter ihren Füßen. Fensterscheiben klirrten, es regnete Dachpfannen herab, alte Türen schwangen quietschend auf.  Ein dröhnendes Grollen wurde lauter und lauter. Kaum öffneten sie die Kellertür schleuderte es sie die Treppen hinunter.

Dann kehrte Ruhe ein. Der Kellerraum ragte ein halbes Stockwerk über den weichen Boden  in den sich die Felsen unter der Stadt gebohrt hatte, Schnell sprangen die drei mit ihrer Beute hinunter. Die hügelige Landschaft am Fluss,  lag friedlich in ersten Morgenlicht. An der nächsten Flussbiegung war ein kleines Städtchen zu sehen. Eilig machten sie sich auf den Weg dorthin.

„Beeilt euch“, rief Zacharias. „Mir nicht wohl, denk ich an den Flug. Wer weiß, was die hohen Leute hier wollen. Mir ist's nicht geheuer, ziehen die Meister und der Klerus an einem Strang und Gespenster nicht zurückgelassen werden.  Lasst uns lieber den Weg in das Städtchen dort hinten zu unserem Glück nehmen“

„Ja“, stimmten sein Brüder zu und wurden schneller.

„Nur weg von der Hochstadt und mit gut gefülltem Sack in ein neues Leben“, erwiderte Alois im Laufschritt.


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