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Februar 2017 Juni 2017

Nicht jeder Weg führt nach oben

„Larissa, sei nicht so altmodisch. Alle nehmen sich, was sie wollen, und die Gelegenheit lacht dir ins Gesicht. Marketingleiterin wär doch ein toller Aufstieg“,  riet Melanie ihrer Tochter, die abwehrend den Kopf schüttete.

„Nein, ich beute andere nicht aus oder noch schlimmer. Der Chef zieht die sogenannten ‚Selbstständigen' über den Tisch. Von wegen fairer Lohn und Aufträge auf Dauer. Er zahlt Hungerlöhne. Sein neuer 'Marketingchef' soll die Leute nun ohne Bezahlung und Auftrag wegschicken. Das macht Müller aus unserer tollen Firma.“

„Das klingt kriminell. Kündige doch, wenn der so betrügt. Du findest was anderes.“

„Mach ich, Mama, vorher muss ich jedoch noch mein Projekt der Wahrheit abschließen.“

Das Wahrheitsprojekt klingelte derweilen an der Wohnungstür. Larissa stellte ihrer Mutter die Hauptkommissare Waller und Bauer vor. „Ihnen erzähle ich jetzt, was für einen kriminellen Sumpf Henrik Müller aus Freds genialer Idee gemacht hat.“

Melissa versorgte alle mit Getränken und verzog sich in die Küche. Hier blieb sie unbemerkt und hörte jedes Wort. Larissas Spannung  während der letzten Wochen hatte sie mitbekommen. Nun wollte sie wissen, worüber ihre Tochter nicht geredet, sich aber so aufgeregt hatte.

Mit einer Tasse Eistee in Händen begann Larissa: „Hendrik Müller ist erst ein Jahr unser Chef. Erst war er nur arrogant und stellte alles auf den Kopf, was Fred Kapian aufgebaut hatte. Doch heute läuft mehr schief. Freds geniales Lieferkonzept für äußerst diskrete, individuelle Zustellung war von Beginn an ein Hit: Besonders beliebt bei Juwelieren, Kunsthandwerkern mit kleinen, hochwertigen Artikeln, Anwälten, sogar bei verliebten Pärchen, die alles am selben oder am nächsten Tag ohne Aufsehen geliefert haben wollten. Ich war von Anfang an Freds Rechte Hand. Doch nach seinem tödlichen Unfall ging alles schief. Seine Frau Ariane stellte ihren Studienfreund Müller ein. Den interessiert nur die Zahlkraft der Kunden, nicht deren Zufriedenheit. Er erhöhte die Preise schon im ersten Halbjahr ins Uferlose und ekelte unsere verlässlichen Kuriere raus. Inzwischen hege ich den Verdacht, dass die Firma nun ebenso diskret Drogen und Diebesgut ausliefert. Die Kuriere sind mittlerweile scheinselbstständig. Die will er auch betrügen und ohne Geld auf die Straße setzen. “

„Führen Sie den Verdacht der Hehlerei und Drogenlieferung bitte genauer aus“, bat Kommissar Bauer ruhig.

„Ich habe keine Beweise, die ich Ihnen vorlegen kann. Ich stehle ja keine Unterlagen. Die müssen Sie sich selbst holen. Nur ein paar verdächtige E-Mails an mich zog ich auf einen Stick und den schickte ich Ihnen.“     

„Genau, und der liefert einen Anfangsverdacht. Wir wollen von Ihnen nur etwas genauere Angaben.“

Anhand der Fragen des Kommissars ging Larissa noch mehr ins Detail. Sie berichtete, was sie von Müllers  kriminellem Verhalten  mitbekommen hatte. Sie schilderte Lieferungen ohne Papiere, heimliche Übergaben, nachträglich fingierte Unterlagen und obskure Bargeschäfte, bis sie nicht mehr konnte. „Ich warnte Ariane mehrfach vor Müller. Doch sie hört nicht auf mich. In der Firma widerspreche ich ihm als einzige. Er umgibt sich lieber mit Jasagern und zwielichtigen Freunden, die seine Machenschaften entweder zum eigenen Vorteil oder als Deckmantel für eigene Betrügereien nutzen. Es ekelt mich an.“

Bevor Kommissar Bauer weiterfragen konnte, klingelte sein Handy. Nach einigen Minuten einsilbiger Antworten wandte er sich wieder an Larissa. „Hendrik Müller ist tot. Er wurde ermordet – in seinem Büro.“

„Verdächtigen Sie jetzt etwa mich? Als ich ging, stritt er sich sehr lebendig mit einem seiner ekligen Freunde. Denen trau ich alles zu“,  legte sie los. Dann sackte sie in sich zusammen, wobei sie beinahe vom Sessel fiel.

Melissa kam aus der Küche und nahm sie in die Arme. „Ruhig, Kleines, reg dich nicht auf. Ich bin ja da. Du machst alles richtig.“

„Mama, was tust du noch hier?“, fragte Larissa ganz verstört. Der Zuspruch half ihr,  sich wieder zu fangen.

„Wir verdächtigen Sie nicht“, versicherte ihr Kommissar Waller, „beschreiben Sie uns diesen Freund näher.“

Larissa schüttelte den Kopf, doch dann nickte sie. „Ich geh ihnen aus dem Weg, wo ich kann. Sie lügen, betrügen und hintergehen alle. Wie ich vorhin sagte, sie nutzen Müllers kriminelle Aktionen als Deckmantel für eigene Schiebereien. Der Kerl, der heute mit Müller stritt, ist fast zwei Meter groß, hat kurz geschorene Haare, mehrere Tattoos auf den Armen und Fingern und ein sehr kantiges Gesicht mit engstehenden Augen. Ich kenne ihn nicht. Er fährt ein rotes Maserati Kabriolet mit einem Leipziger Kennzeichen. Mehr weiß ich nicht.“  

In dem Moment läutete es Sturm. Melissa ging, um zu öffnen. Ariane stürmte an ihr vorbei ins Zimmer.   

„Larissa, du musst mir....“, sie bemerkte die Kommissare und drehte sich um. „Oh, was tun  Sie hier?“

„Ich erzählte ihnen, wie Müllers kriminelle Art Freds Firma ruinierte“, sagte Larissa trotzig.          

„Du hast ja so Recht. Du hast mich gewarnt, aber ich wollte es nicht glauben. Hendrik versicherte mir, alles sei legal. Aber jetzt ist er tot und alles liegt in Scherben.“ Sie zog Larissa hoch und ergriff ihre Arme. „Bitte hilf mir. Hendrik schob mir einiges unter, was er verbrochen hat. Werde Geschäftsführerin mit allen Vollmachten und bring Freds Firma wieder in Ordnung.“ Sie drehte sich zu den Kommissaren um. „Sie suchen mich sicher, meine Herren. Ich  musste erst sicherstellen, dass Larissa die Firma übernehmen kann. Hendrik wohnte bei mir. Er gaukelte mir vor, mit ihm käme ich die Spitze aller Lieferdienste. Doch gestern entdeckte ich Diebesgut und Drogen in meiner Garage. Ich unterschrieb für ihn so oft blanko – in gutem Glauben, aber was soll‘s.“ Sie streckte ihre Hände vor. „Sie können mich verhaften.“

„Haben Sie Hendrik Müller ermordet?“, fragte Kommissar Waller ungläubig.

Ariane nickte.

„Ich war so wütend, als ich gestern alles herausfand. Hendrik lachte mich nur aus. Ich folgte ihm zum Treffen mit seinem Drogenlieferanten in die Firma. Da ging es mit mir durch. Ich nahm die Pistole, die immer in seinem Schreibtisch lag, und schoss.“